Ich les und hör zurzeit Bücher von einem Italienischen theoretischen Physiker, Carlo Rovelli. Er beschäftigt sich mit einer Theorie des Universums die als Loop Quantum Gravity bezeichnet wird. Tatsächlich ist er einer der Begründer dieses Konzepts zur Erklärung der Schwerkraft, die ja nach wie vor nicht in das Schema der Quantenphysik hineinpasst. Zudem wird er immer wieder als heißer Kandidat für den Nobelpreis in Physik gehandelt. Seine Bücher sind keine Fachbücher in Physik, also praktisch keine Formeln oder andere technische Spezialitäten. Trotzdem ist der Inhalt außerordentlich fordernd – für mich zumindest. Ich hab bisher nicht wirklich verstanden, wie diese Theorie helfen soll, die Raum-Zeit zu erklären, obwohl ich jetzt schon beim zweiten Mal lesen bin.
Was mich fasziniert ist, was für ein ungeheures Wissen Herr Rovelli hat. Insbesondere in der Philosophie ist er außerordentlich bewandert. Jetzt kann man natürlich sagen, dass die moderne theoretische Physik sowieso immer mehr zur Philosophie wird und es daher nicht verwunderlich ist, dass sich die Physiker/innen immer mehr mit Philosophie beschäftigen (und umgekehrt). Aber ein ganzes Buch über den antiken Philosophen Anaximander, ein Schüler und Nachfolger von Thales von Milet, und laut Herrn Rovelli der erste Wissenschafter im heutigen Sinn, zu schreiben, erfordert schon einen sehr tiefen Einblick in die Philosophie.
Herr Rovelli zitiert immer aus den originalen Schriften von Philosophen. Aus einigen Andeutung scheint hervorzugehen, dass er die Werke tatsächlich im Original gelesen hat. Wenn ich mich auf einen Philosophen berufe, dann nicht in Form eines Originalzitats, weil ich die Werke im Original gar nicht kenne, sondern indem ich auf das verweise, was andere über diesen Philosophen gesagt oder geschrieben haben, also etwa aus den verschiedenen “Geschichten der Philosophie,” die ich schon gelesen hab.
Originale hab ich nur von sehr wenigen Philosophen gelesen, obwohl ich es das eine oder andere Mal probiert hab. Am meisten hab ich noch von Sigmund Freud gelesen, obwohl der nur eingeschränkt als Philosoph bezeichnet werden kann. Mit seinen gesammelten Werken bin ich bis etwa zur Mitte gekommen, dann hat’s mir gereicht. Ich hab in der frühen Zeit meines Interesses an philosophischen Fragen einiges von Konrad Lorenz gelesen; das eine oder andere Buch von Deutschen Philosophen. Aber von den wirklich großen Werken der Philosophie hab ich kaum was gelesen. Ich hab Kant probiert, bin daran aber hoffnungslos gescheitert; Hegel ist für mich sowieso unlesbar. Die Schriften aller anderen großen Philosophen kenn ich nur aus zweiter Hand, also was Professoren der Philosophie über diese Philosophen berichten.
Ich denke, dass die theoretische Physik als Wissenschaft genauso ein Fulltimejob ist wie das, was ich mach. Ein Unterschied ist vielleicht, dass die theoretische Physik nicht viel mehr als einen Zettel und einen Bleistift braucht um arbeitsfähig zu sein. Zumindest wird er also weniger Zeit darauf verschwenden, Geld für Forschungsprojekte aufstellen zu müssen. Allerdings reisen die wirklich wichtigen Leute, so wie Carlo Rovelli, auf der Welt herum und geben Vorträge, was ebenfalls zeitaufwändig ist. Herr Rovelli hat vier Bücher veröffentlicht, obwohl alle eher schmale Bändchen sind.
Mein Punkt ist: Woher nimmt er die Zeit, sich mit all diesen Dingen zu beschäftigen? Liest er schneller als ich? Schläft er noch weniger als ich? Sicher braucht er weniger Zeit um die Herausforderungen der Quantenphysik zu meisten. Die hab ich nach 30 Jahren, in denen ich darüber gelesen hab, immer noch nicht verstanden. Obwohl Richard Feynman, einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts gesagt hat, dass niemand die Quantenphysik wirklich versteht. Wenn man sich nicht mit den Basics der Quantenphysik herumschlagen muss, lässt einem das wahrscheinlich mehr Zeit, sich mit den originalen Texten der Philosophie zu befassen. Wie dem auch sei! Herr Rovelli ist ein Mensch, der mich sehr beeindruckt. So stell ich mir einen großen Wissenschafter vor, einen wirklich weisen Menschen. Das wäre ein Ideal, das ich anstrebe, von dem ich aber noch weit entfernt bin. Andererseits; Kann man ein Ideal jemals erreichen? Dann wäre es ja kein Ideal mehr. Ein Ideal muss also von Natur aus unerreichbar bleiben.