Wie Nerven- oder Herzkreislaufsystem durchzieht das Immunsystem den gesamten Organismus. Es bildet Organe, unter anderem Lymphknoten, Thymus, Milz. Immunzellen patrouillieren über Blut- und Lymphgefäße durch den Körper und bevölkern die Immunorgane.
Das Immunsystem ist an einer Vielzahl von Krankheiten beteiligt:
- Schutz vor Mikroorganismen & Vorbeugung durch Impfungen
- Die Immunonkologie ist das Hoffnungsgebiet der Krebsbehandlung
- Allergien – krankhafte Überreaktionen des Immunsystems nehmen zu
- Autoimmunerkrankungen von Rheuma über Diabetes bis Multiple Sklerose
- Transplantationen bedürfen der Kontrolle des Immunsystems
- Die Wundheilung ist ein Bereich, in dem das Immunsystem wichtige Beiträge leistet
- Erkrankungen des Herzkreislaufsystems, insbesondere Atherosklerose, werden vom Immunsystem beeinflusst
- Neurodegenerative Erkrankungen werden von den Immunzellen im Gehirn positiv und negative beeinflusst
- Schwangerschaft – natürlich keine Krankheit aber von nicht zu leugnender enormer Bedeutung
Ohne dem Immunsystem ist Leben schwer vorstellbar! Deutlich wird das bei einem angeborenen oder erworbenen Immundefekt – AIDS, aber auch bei Krebspatient/innen, deren Immunsystem durch eine Chemotherapie zerstört ist. Ohne funktionierendem Immunsystem versterben die Erkrankten trotz intensiver Behandlung mit den stärksten Antibiotika oft an banalen Infektionserkrankungen. Eine Fehlsteuerung der immunologischen Abwehr, wie das bei Autoimmunerkrankungen der Fall ist, kann zu lebensbedrohlichen Krankheiten führen. Patient/innen, die nach einer Organtransplantation eine das Immunsystem unterdrückende Behandlung erhalten, entwickeln deutlich öfter Krebserkrankungen als der Durchschnitt der gesunden Menschen – ein zentraler Hinweis darauf, dass uns das Immunsystem vor Krebs schützt.
Der modernen Biomedizinischen Forschung ist es in den letzten Jahren gelungen, die Funktion des Immunsystem zunehmend besser zu verstehen. Immer öfter ist es möglich, das Immunsystem zu therapeutischen Zwecken zu manipulieren. Trotzdem sind wir noch weit davon entfernt, ein vollständiges Bild der Funktionsweise des Immunsystem zu haben.
Einleitung
Tagtäglich werden in Deinem Körper Schlachten ausgetragen – ein ständiger Wechsel von Krieg und Frieden. Manchmal nimmst Du die Auswirkungen dieser Kampfhandlungen wahr – Du bist krank. Zumeist bemerkst Du jedoch nichts von irgendwelchen kriegerischen Auseinandersetzungen.
Worum werden diese Schlachten gefochten? Um die Abwehr von Bedrohungen durch Fremdes – Mikroorganismen; oder die von verfremdeten Zellen ausgehende Gefahr – Tumorzellen; immer wieder kommt es zu Bürgerkriegen – Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem den eigenen Organismus attackiert; manchmal schießt Deine Immunarmee mit riesigen Kanonen auf harmlose Spatzen – Allergien; es kommt vor, dass plötzlich ein fremdes Organ im Körper auftaucht das es vermeintlich zu beseitigen gilt – Transplantation; Herzkreislauf- und Neurologische Erkrankungen werden vom Immunsystem beeinflusst; und im Körper von Frauen kann ein Lebewesen heranwachsen, das zwar zur einen Hälfte die eigenen Erkennungsmerkmale des Gewebes trägt, zur anderen Hälfte aber die einer zweiten Person, und das damit zur Hälfte fremd ist – Schwangerschaft.
In den in Deinem Körper tobenden Kämpfen stehen die Zellen Deiner Verteidigungsarmee, das Immunsystem, den Truppen fremder, oft feindlicher Mikroben oder höherer Zellen gegenüber. Deine Verteidiger und die Angreifer kreuzen ihre molekularen Klingen.
In den ersten Lebensjahren lernt Dein Immunsystem Freund von Feind und gefährlich von harmlos zu unterscheiden. Das Immunsystem verfügt über Bodentruppen, Marine, Luftwaffe; es bedient sich unterschiedlicher Waffengattungen: Infanterie, Kavallerie, Pioniere, etc. Es verfügt über Nahkämpfer genauso wie über Scharfschützen; es verwendet Spionage und schützt sich vor Gegenspionage. Strategische und waffentechnische Fortbildung ist während des ganzen Lebens notwendig. Das Immunsystem bedient sich eines ausgeklügelten Logistik- und Kommunikationssystems, um die Versorgung der Truppe sicherzustellen und die Befehlskette vom Generalstab über Offiziere an die kämpfende Truppe aufrechtzuerhalten. In einer riesigen Datenbank wird gesammelte Information und erworbenes Wissen über die mikrobielle Welt da draußen gespeichert und die gespeicherten Daten können jederzeit abgerufen werden.
Weiße Blutzellen – Immunzellen – Leukozyten
Wir unterscheiden das angeborene und das erworbene Immunsystem. Wie diese Namen erkennen lassen, werden wir mit dem einen geboren; das andere erwerben wir im Laufe des Lebens durch die Auseinandersetzung mit dem was in uns, auf uns und um uns herum ist. Das angeborene Immunsystem ist der entwicklungsgeschichtlich ältere Teil, der auch bei niederen Organismen zu finden ist. Die Mechanismen der Abwehr bestehen in erster Linie darin, als gefährlich eingestuftes Material aufzufressen – zu phagozytieren. Das erworbene Immunsystem verwendet spezifische Erkennungsstrukturen, Antigenrezeptoren, um die Auslöser einer bedrohlichen Situation zu erkennen und unschädlich zu machen. Angeborenes und erworbenes Immunsystem funktionieren in höheren Organismen nicht nebeneinander, sondern unterstützen sich gegenseitig bei der Verteidigung des Körpers.
Zu den Leukozyten des angeborenen Immunsystems gehören die Dendritischen Zellen, welche an Auslösung und Steuerung einer Abwehrreaktion wesentlich beteiligt sind; man könnte sie als den Generalstab der Verteidigungsarmee unseres Körpers bezeichnen. Sie bilden die Schnittstelle der Kommunikation zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem. Andere Vertreter der Zellen des angeborenen Immunsystems sind Granulozyten, Makrophagen, und noch einige mehr, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll. Eine wichtige Aufgabe der Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems ist die Aufnahme aller Arten von Material aus ihrer Umgebung, ein Vorgang der als Phagozytose bezeichnet wird; diese Zellen erhielten daher den gemeinsamen Namen Phagozyten, Fresszellen. Sowohl auf natürlich-physiologisch-apoptotischem oder krankhaft-pathologisch-nekrotischem Weg abgestorbene Zellen werden von den Phagozyten aufgenommen. Die Dendritischen Zellen können zwischen diesen beiden Formen des Zelltodes unterscheiden. Kommt es zu einer nekrotischen Zellzerstörung wird das von den Dendritischen Zellen als Gefahrensignal interpretiert und führt zur Aktivierung von Abwehrreaktionen durch das erworbene Immunsystem.
Sollte die Ursache des Zelltodes eine mikrobielle Infektion sein – Viren, Bakterien, Pilze – werden auch Mikroorganismen oder deren Fragmente phagozytiert und auf diese Weise beseitigt. Dabei erkennen insbesondere die Dendritischen Zellen spezielle Moleküle der Mikroorganismen, die bei höheren Organismen nicht vorkommen, und werten diese als mikrobielle Gefahrensignale. In der Folge aktivieren die Dendritischen Zellen die T-Lymphozyten, also Zellen des erworbenen Immunsystems, um – genauso wie im Fall nekrotischen Zelltods – neben den unspezifischen Abwehrmechanismen des angeborenen Immunsystems auch die spezifischen Verteidigungsmechanismen des erworbenen Immunsystems zu mobilisieren. Eine mikrobielle Infektion führt zu nekrotischem Zelltod, wodurch die Dendritischen Zellen in diesem Fall sowohl auf die von den Mikroorganismen als auch auf die von den nekrotischen Zellen ausgehenden Gefahrensignale reagieren.
Das erworbene Immunsystem wird auf Befehl des angeborenen Immunsystems aktiv. Die Dendritischen Zellen stehen an der Schnittstelle von angeborener und erworbener Immunität; von dieser Schnittstelle geben sie ihre Anweisungen für die Ausführung einer Immunreaktion. Ich werde in weiterer Folge die Dendritischen Zellen immer wieder mit einem Generalstab des Immunsystems vergleichen. In ihrer Funktion als Generäle des Immunsystems kommunizieren sie mit T-Lymphozyten, die steuernde Funktionen haben, Helfer T-Lymphozyten, welche in diesem militaristischen Vergleich die Offiziere des Immunsystems darstellen würden; und andererseits mit Lymphozyten, welche die zwei Waffengattungen der kämpfenden Truppe darstellen: zytotoxische T-Lymphozyten und antikörperproduzierende B-Lymphozyten. Erstere können über ihre antigenspezifischen Rezeptoren Zielzellen erkennen und zerstören; sie werden daher auch – nicht ganz korrekt – als Killer Zellen oder Killer T-Zellen bezeichnet. Die B-Zellen setzen ihre antigenspezifischen Rezeptoren als Antikörper in großer Menge frei. Die freigesetzten Antikörper binden an Mikroorganismen und andere Antigene um sie zu inaktivieren oder für die Aufnahme durch Phagozyten zu markieren. Man könnte die zytotoxischen T-Lymphozyten als Nahkämpfer mit Schwert oder Axt betrachten, während die B-Lymphozyten die Schützen sind, die ihre Speere und Pfeile auf den Feind abschießen – eine besondere Art von Pfeilen, die ihr Ziel selber finden, vielleicht eher vergleichbar mit modernen Fernlenkwaffen.
Antigenrezeptor
Ein Charakteristikum der Lymphozyten des adaptiven Immunsystems ist ihr Antigenrezeptor. Die Antigenrezeptoren von T- und B-Zellen werden in unglaublich großer Zahl und Vielfalt, aber rein zufällig gebildet. Unter dieser Vielzahl von Lymphozyten, von denen jeder einen Rezeptor mit einer anderen Spezifität trägt, gibt es auch solche, die mit Autoantigenen interagieren können. Um solche autoreaktiven T-Zellen zu eliminieren, werden diese in einem noch nicht voll ausgereiften Zustand einem Selektionsmechanismus unterzogen, bevor sie in den Organismus entlassen werden. Der Thymus übernimmt die Aufgabe, die Grundausbildung der späteren Offiziere und Soldaten der Abwehrarmee unseres Körpers durchzuführen; wir sprechen von zentraler Toleranz. T-Zellen, die mit einem Autoantigen interagieren, können den Thymus nicht passieren; sie werden ausgemustert, was bedeutet, dass der programmierte Zelltod ausgelöst wird.
Neben der zentralen Toleranz im Thymus stellen die Dendritischen Zellen einen zweiten Schutzmechanismus vor Autoimmunität dar, die periphere Toleranz. Das mag zunächst paradox klingen, da ich die Dendritischen Zellen zuvor als die Generäle der Immunarmee bezeichnet habe, die ihre Soldaten in die Schlacht schicken. Aber ein General muss seine Truppe auch im Rückzug führen beziehungsweise für friedenserhaltende Maßnahmen einsetzen können. Von besonderer Bedeutung ist die periphere Toleranz in Zusammenhang mit der Kontrolle von Tumorzellen – beziehungsweise mit deren Scheitern und dadurch der unkontrollierten Vermehrung von Zellen trotzdem diese verfremdete, also mutierte, Autoantigene haben, die vom Immunsystem im Prinzip erkannt werde können. Wie es dazu kommt werde ich etwas später erklären.
Die Truppen, die von den Dendritischen Zellen vor einer Schlacht rekrutiert werden, müssen nach Ende des Kampfes wieder entlassen werden. Um zu verhindern, dass marodierende Söldner, deren Krieg zu Ende ist, mordend und brandschatzend durch den Organismus ziehen – also Autoimmunreaktionen auslösen – wird bei den nicht mehr benötigten Soldaten der programmierte Zelltod ausgelöst. An diesem Punkt endet die Analogie zwischen Immunsystem und Armee: die siegreichen Soldaten einer echten Armee kehren in ihre Heimat zurück und werden als Helden gefeiert. Solche Sentimentalitäten leistet sich das Immunsystem nicht: alles was von einer gewonnenen Schlacht übrig bleibt ist die Erinnerung – im wörtlichen Sinn. Aus einer kleinen Zahl von Veteranen der gewonnenen Schlacht, Helfer T-Zell Offizieren, und Soldaten der Waffengattungen B-Zellen und zytotoxische T-Zellen, werden Gedächtniszellen gebildet; in den anderen nicht mehr benötigten Lymphozyten wird der programmierte Zelltod ausgelöst. Die Gedächtniszellen können über viele Jahre, möglicherweise sogar das gesamte Leben, Teil des Immunsystems bleiben. Kommt es zu einem neuerlichen Kontakt mit demselben Eindringling, kann die Verteidigung sehr schnell und wirksam aufgebaut werden. Die Information, wie ein bestimmter Mikroorganismus aussieht und am wirksamsten bekämpft werden kann, ruft das Immunsystem aus dem Gedächtnisspeicher der Veteranen früherer Schlachten ab. Auf diesem Prinzip beruhen die Impfungen.
Gedächtnis
„Eine Kerze anzuzündenden bedeutet einen Schatten zu werfen.“ Das schreibt Ursula K. Le Guin in Ihrem aus dem Jahr 1968 stammenden Fantasy Roman „A Wizard of Earthsea.“ Das gilt auch für das Immunsystem. Das Immunsystem schützt uns vor den Bedrohungen in unserer Umgebung, einmal von der Leine gelassen kann es aber auch eine Menge Kollateralschaden anrichten. Verschiedenste Fehlschaltungen – Missverständnisse in der Kommandokette – und das Immunsystem beginnt gesundes Gewebe zu attackieren. Dabei kann es beträchtlichen Schaden anrichten; wir sprechen von Autoimmunerkrankungen. Die zum Beenden einer Immunreaktion verfügbaren Sicherheitsmechanismen sollen das verhindern.
Das Immunsystem leistet sich keine Sentimentalitäten, wenn die Gefahr einer Schädigung gesunden Gewebes durch schwer bewaffnete unkontrollierte Immunzellen droht. Der Generalstab, der die Abwehrschlachten orchestriert und dirigiert, stellt sicher, dass sich alle an die Partitur halten; Improvisationen werden nicht zugelassen. In keinem Fall dürfen marodierende Gruppen von abgemusterten Immunsoldaten nach einer gewonnenen Schlacht etwa gegen eine Invasionsarmee von Mikroben durch den Organismus ziehen; sie könnten dabei jede Menge Unheil anrichten. Die Veteranen einer gewonnenen Schlacht werden nach der Rückkehr in die Kasernen als Retter und Beschützer gefeiert. Die Veteranen einer Immunschlacht kehren nicht zurück! Soldaten, die nicht mehr an einer Schlacht beteiligt sind, lösen ihre Selbstzerstörung aus, den programmierten Zelltod, die Apoptose.
Lediglich eine kleine Gruppe von Immunzellen wird vom programmierten Zelltod ausgenommen. Diese Immunzellen differenzieren zu Gedächtniszellen, die bei einem neuerlichen Kontakt mit dem gleichen Eindringling sehr schnell mobilisiert werden können. Da die Gedächtniszellen den Feind und seine Schwachstellen kennen, wird in kurzer Zeit eine effektive Abwehr aufgebaut. Eine von Gedächtniszellen angeführte Immunreaktion kann so rasch ablaufen, dass Du Deine Erkrankung gar nicht oder lediglich als milde Symptome wahrnimmst. Die Gedächtniszellen lassen dem Krankheitserreger gar nicht erst Chance, sich in Deinem Organismus zu vermehren und Schaden anzurichten.
Immunität – ein gespannter Bogen
Deine Abwehr ist ein ständig gespannter Bogen, auf dessen Sehne die Pfeile bereits zum Abschuss bereitliegen. Nicht irgendwelche Pfeile! Verglichen mit dem Immunsystem scheinen die beinahe unfehlbaren Pfeil & Bogen Künste des von Jeremy Renner dargestellten Superhelden Clint Barton alias Hawkeye aus den Avenger Comics und Filmen geradezu amateurhaft. Im Angesicht der dem Immunsystem zur Verfügung stehenden unterschiedlichsten Arten von Pfeilen würde Hawkeye vor Neid erblassen.
Bei der kleinsten Andeutung von Gefahr lassen die Immunsoldaten die Sehne ihres Bogens los. Die Pfeile, mit denen das Immunsystem Deinen Organismus verteidigt, sausen davon. Diese ständige Verteidigungsbereitschaft des Immunsystems stellt ein Risiko dar. Wenn eine Armee von Bogenschützen mit ihren Pfeilen bereits auf der gespannten Sehne angelegt auf den Einsatzbefehl wartet, kann es schon einmal zu Missverständnissen kommen: Falscher Alarm führt zu überschießenden Reaktionen; ein banaler Kommunikationsfehler in der Kommandokette und die Pfeile fliegen durch Deinen Körper; einem Schützen mit schweißnassen Fingern rutscht die Sehne aus der Hand; das Rheuma nimmt einem älteren Veteranen die Kraft, die Sehne festzuhalten. Selbst einem Superhelden wie Hawkeye würden irgendwann die Kräfte erlahmen, wenn er seinen Bogen unablässig gespannt halten müsste. Im Gegensatz zum Immunsystem trägt Hawkeye seinen Bogen daher meist über der Schulter und seine Sammlung von Spezialpfeilen steckt im Köcher.
Das Immunsystem muss ständig bereit sein, auf Angriffe so rasch wie möglich zu reagieren, bevor Eindringlinge Schaden anrichten können. Deshalb der gespannte Bogen. Doch das Immunsystem muss auch sicherstellen, dass der sprichwörtliche Rote Knopf nicht zur falschen Zeit und am falschen Ort gedrückt wird. Das Immunsystem hat aus diesem Grund ständig Truppenverbände für friedenserhaltende Maßnahmen im Einsatz. Friedenstruppen, die für Ruhe und Ordnung zuständig sind. Sie sorgen dafür, dass die Bogensehnen gespannt bleiben und die angelegten Pfeile nicht ohne einen äußeren Anlass abgeschossen werden. Das mag jetzt durchaus überraschend sein: Die Hauptaufgabe des Immunsystem ist zu verhindern, dass es zu Kampfhandlungen – Immunreaktionen – kommt. Deshalb steckt das Immunsystem große Teile seiner Ressourcen in die Friedenserhaltung.
Sechster Sinn Immunsystem
Die bekannten fünf Sinne unseres Körpers gehören dem Nervensystem an. Einige unserer Sinne beschäftigen sich mit der physikalischen Umwelt, Licht – Sehen, Schall – Hören, Masse und Struktur – Tasten. Zwei andere Sinnesorgane beobachten das chemische Geschehen rund um uns, Schmecken und Riechen – Sinnesorgane, die auch als Qualitätskontrollen für Nahrung und Atemluft dienen.
Das Immunsystem kannst Du neben den fünf Sinnen des Nervensystems als sechsten Sinn verstehen. Zwischen dem Bereich der winzigen chemischen und biochemischen Moleküle und den sichtbaren, hörbaren oder tastbaren Dingen unseres täglichen Lebens, liegt die unglaublich komplexe und vielfältige Welt der Mikroorganismen. Die Bewohner dieser Welt sind zu klein, um sie hören, sehen, oder tasten zu können, aber zu groß um als chemische Ereignisse durch Schmecken oder Riechen erfasst zu werden. Diese Welt der Mikroben ist die Domäne des Immunsystems.
Immunsystem und Nervensystem sind einander nicht ganz unähnlich: Beide kommunizieren mit der Umwelt, sammeln Informationen, treffen Entscheidungen, verfügen über ein Gedächtnis, und beide sind integrale Bestandteile jedes Gewebes, also des gesamten Organismus. Genauso wie das Nervensystem, baut das Immunsystem eigene Organe auf: Milz, Knochenmark, Thymus, Lymphknoten.
Irun R. Cohen schreibt in seinem Buch Tending Adam’s Garden dem Immunsystem aus der Komplexität emergente – spontan auftretende – wahrnehmende Fähigkeiten zu. Ein Prinzip, auf das Neurowissenschafter auch das menschliche Bewusstsein zurückführen. Was aber nicht heißen soll, dass es ein immunologisches Bewusstsein gibt; zumindest hat noch niemand behauptet ein solches gefunden zu haben.
Eine weitere Ähnlichkeit zwischen Immunsystem und Nervensystem: Beide funktionieren nach dem Prinzip des gespannten Bogens. Für die Reizleitung in einem Nerven werden zuerst elektrisch geladene Teilchen – Ionen – durch die Zellmembran der Nervenzellen gepumpt, wozu Energie erforderlich ist. An der Zellmembran der Nervenzelle entsteht ein elektrisches Potenzial durch die ungleiche Verteilung elektrischer Ladungen – ein elektrischer Spannungszustand.
Ein Nervenreiz wird erzeugt und weitergeleitet, indem Kanäle in der äußeren Membran einer Nervenzelle freigegeben. Durch diese Kanäle strömen die innerhalb und außerhalb der Nervenzelle ungleich verteilten Ionen auf die jeweils andere Seite der Zellmembran. Auf diese Weise entlädt sich die elektrische Spannung an der Membran. Dieser Ausgleich der Ladungen ist das Signal, das in einem Nerven weitergeleitet wird. Danach ist Energie notwendig, um den gespannten – polarisierten – Zustand wiederaufzubauen, um das nächste Signal leiten zu können.