Shoot first, ask questions later

Ein Teenager attackiert Menschen in einem Zug in Deutschland mit einem Messer und einer Axt, flüchtet, wird von einer Spezialeinheit der Polizei gestellt und erschossen. Dann beginnt das Rätselraten: Wie konnte das geschehen? Ein Jugendlicher, offenbar gut integriert in einer Deutschen Gastfamilie; kein offensichtlicher Kontakt zu radikalen Gruppen; keine erkennbaren religiösen Ambitionen; keine kriminelle Vergangenheit. Das einfachste wäre gewesen, den jungen Mann zu fragen, was ihn zu diesem Verbrechen bewogen hat; woher die Idee kam und die Motivation, diese in die brutale Tat umzusetzen.

Terroristen werden erschossen. Da wird nicht lange herumgefackelt. Auch wenn sie keine akute Gefahr mehr darstellen; keine Menschen mehr in ihrer Gewalt haben, weil sie diese ermordet haben. Die Sicherheitskräfte müssen sich schützen. Ein schwer bewaffneter Kämpfer mit militärischem Training stellt eine Gefahr dar. Islamismus oder Rassismus, Radikalisierung hier wie dort. Wie, warum führt das zu Gewalttaten? Wir wissen es nicht; es bleibt nur das Rätselraten; die einzige Person, die Auskunft geben könnte, ist tot.

Ein Ex-US-Marine mit Sturmgewehr oder ein Psychopath am Steuer eines schweren Lastwagens stellt selbst für gut ausgebildete Sicherheitskräfte eine Bedrohung dar; ein junger Bursche mit Axt und Messer nicht wirklich. Das Risiko von Todesopfern unter den Sicherheitskräften ist in vielen Fällen groß und muss unter allen Umständen auf ein Minimum reduziert werden. Aber ist es wirklich ethisch vertretbar, gerecht, vernünftig einen Terroristen ohne viel Zögern zu erschießen?

Ethik

Unsere Ethik in Bezug auf Terroristen ist Alttestamentarisch. Du hast eine/n der Meinen ermordet; Dein Tod ist der einzige Weg, diese Schuld zu sühnen. Aug um Aug, Zahn um Zahn, ein Leben um ein Leben. Jesus Christus hat das Alte Testament allerdings außer Kraft gesetzt. Das Neue Testament spricht von Liebe Deinen Nächsten; vergib denen, die Dir Unrecht getan haben; im Zweifelsfall halte die andere Wange hin.

Die Spieltheorie des 20. Jahrhunderts betrachtet das Tit-for-Tat zunächst als die Basis einer erfolgreichen Strategie! Mittlerweile ist klar, dass ein striktes Tit-for-Tat zu einem katastrophalen Kreislauf von Vergeltung führt, der alle Spielenden in den Ruin treibt. Das Bestrafen von nicht kooperativen Spieler/innen oder das gelegentliche Nachsehen von Verweigerung der Kooperation öffnet einen Weg aus diesem Dilemma.

Gerechtigkeit

Um Menschenleben zu schützen kann das Töten von Gewalttätern in manchen Fällen notwendig sein, egal ob diese mit Sturmgewehr, Lastwagen oder Messer und Axt morden. Ist in anderen Fällen das Erschießen eines Terroristen durch Sicherheitskräfte nicht Selbstverteidigung, sondern Selbstjustiz?

Die meisten Westlichen Staaten haben die Todesstrafe abgeschafft. Kommt sie durch die Hintertür der Selbstjustiz zurück? Die Zivilgesellschaft stellt sich nicht auf die Stufe eines Gewaltverbrechers. Sie stattet den Staat mit einem Gewaltmonopol aus, das dieser überparteiisch, emotionslos und ohne Eigeninteresse ausübt. Selbstjustiz ist in einer modernen Westlichen Gesellschaft nicht vertretbar.

Sadistische KZ Aufseher, machthungrige Ex-Jugoslawische Milizführer, größenwahnsinnige Afrikanische Despoten. In den Prozessen gegen Kriegsverbrecher vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag wird um Gerechtigkeit gerungen, nicht Rache geübt. Viele Gräueltaten kommen nie zum Vorschein, wenn sie nicht vor Gericht durch Aussagen von Opfern, Beobachtungen von Zeugen und Befragen von Tätern aufgedeckt werden.

Ideologisch motovierte Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören vor Gericht, um dort aufgearbeitet zu werden. Der Tod eines Gewalttäters bringt eine kurzfristige Befriedigung von Rachegelüsten, behindert aber die Aufarbeitung von Gewalttaten. Die Opfer und deren Angehörige wollen nicht nur Rache; sie wollen den Tätern in die Augen schauen und dort Gerechtigkeit, Verstehen, Entschuldigung, Reue, Wiedergutmachung finden.

Vernunft

Ein toter Verbrecher wird schnell vergessen; ein langjährig inhaftierter Verbrecher wird die Taten immer wieder in Erinnerung rufen. Ein verurteilter Verbrecher gegen die Menschlichkeit wird andere Gewaltbereite daran erinnern, dass die Zivilgesellschaft am Ende Gerechtigkeit üben wird.

Für Selbstmordattentäter ist der Tod keine Strafe; sie suchen den Tod. Sie wollen nicht als Verbrecher gegen die Menschlichkeit leben sondern als Märtyrer sterben. Rache durch Lynchjustiz erfüllt ihnen diesen Wunsch. Die Gerechtigkeit einer Verurteilung, die Konfrontation mit ihren Taten, ihren Opfern, ihrem eigenen Gewissen während langjähriger Inhaftierung kann die härtere Strafe sein.

Ist es unvermeidbar oder strategisch vorteilhaft Osama bin Laden, Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein, oder einen Terroristen mit Sturmgewehr, Lastwagen, oder Messer und Axt zu töten? Mag sein, aber ist es vernünftig? Lebend gefasst können sie zu ihren Taten und deren Hintergründen befragt werden: Hierarchie und Kommandostruktur; Rekrutieren von Kämpfer; Verkauf von Erdöl, Diamanten, Drogen, Kunstschätzen; Bankkonten auf denen das gestohlene Geld versteckt ist; Herkunft von Waffen.

Ethik, Gerechtigkeit, Vernunft … wenn möglich; töten nur wenn unvermeidbar.

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